Die Struktur der Fotografien | Zeichen, eine Bildanalyse - © bildraum-f | fotografie“Wer sehen kann, kann auch fotografieren.
Sehen lernen kann allerdings lange dauern.” – Werbung der Firma Leica

Die Struktur der Fotografien: Fotografien sind eng begrenzte Abbilder einer dreidimensionalen, komplexen Wirklichkeit. Das bedeutet zugleich, daß sie weit weniger Informationen enthalten als die vielschichtige Realität an sich, aber gerade diese begrenzte Auswahl und Ausschnitthaftigkeit von Informationen ist gleichzeitig eine Chance der Fotografie. Die Reduktion auf das Wesentliche berührt dabei keineswegs die Forderung nach der (Wieder-)Erkennbarkeit des Motivs. Sofern man nicht bewusst das Motiv verschlüsseln will, muß de facto der Gegenstand der Fotografie als solcher in Form von Zeichen erkennbar sein.
Fotografischen Zeichen bestehen aus der Summen von Formen, Flächen oder Linien, diese werden erst durch die Interpretation des Betrachters wieder zu Gegenständen. Ein weiterer Gesichtspunkt dieser Zeichen ist deren innere und thematische Zusammenhänge und deren logische Verknüpfungen, in den wir diese Zeichen stellen. Zugleich ist diese Interpretation abhängig von vorgeprägten Denkweisen und den verschiedensten kulturellen oder gefühlsmäßigen Vorgaben, die den Betrachter nahezu unbewusst veranlassen, ein Zeichen in einer bestimmten Weise (zB. ein Pfeil der die Richtung angibt) zu interpretieren.
Mit Zeichen aufbauen: Wenn also der Mensch dazu neigt, ein einzelnes Zeichen wie z. B. eine Linie, die quer durch ein Foto verläuft, auf eine bestimmte Art und Weise zu interpretieren, so sollte der Fotograf die Bedeutung der verschiedensten Zeichen (Formen, Flächen, Linien, Farben usw.) kennen. Erst dann lassen sich diese Zeichen bewusst in den eigenen Bildern einsetzen, und zwar so, daß der Betrachter sie genau in der Art und Weise interpretiert, wie es der Bildautor beabsichtigt. Um all die Linien und Flächen, die die Bildwirkung beeinflussen, bei der Gestaltung des Fotos zu berücksichtigen, gilt es zunächst, sie in den Motiven überhaupt zu sehen.
Die vorliegende Bildanalyse ist ein schönes Beispiel für die Verwendung von sichtbaren und imaginären Linien und Flächen. Ich gehe hier nur auf die verwendeten Zeichen ein, zu einem späteren Zeitpunkt werde ich diesen Text um die verbleibenden nicht erwähnten Zeichen ergänzenden.
Die Struktur der Fotografien | eine Bildanalyse - © bildraum-f | fotografieLinien: Eine Linie kann als eines der elementarsten und wichtigsten Gestaltungsmittel überhaupt bezeichnet werden. Die Wirkung der Linien ist stark abhängig von ihrer Lage innerhalb des Bildes wie auch von dem Grad ihrer Deutlichkeit. Linien reduzieren nicht nur Gegenstände und Motive auf ihre äußere Form, sondern können zugleich eine Vielzahl von Eindrücken (Ruhe, Dynamik, Hektik, Spannung usw.) hervorrufen. Aus nachvollziehbaren Gründen ist es jedoch sinnvoll, zwischen wirklichen und imaginären Linien zu unterscheiden. Wirklich Linien sind im Bild sichtbare Geraden, wie zB. Gebäudekanten, Laternen etc., zu den wirklichen Linien zählen uA. aber auch die Umrisslinien von Körpern. Die räumliche Ausrichtung der Geraden (waagerecht oder senkrecht, schräg oder diagonal usw.) spielt hingegen keine Rolle. Wirkliche Linien sind entgegen den imäginären Linien einfach zu erkennen. Ein Beispiel zeigt die Bildanalyse: die Interaktion zwischen zwei sich unterhaltenden Personen bildet zB. eine imaginäre Linie.  Der Fotograf geht in diesem Bild ohne eine sichtbare Linie mit seinem Sujet einen imaginäre Verbindung/Beziehung ein, die sich durch die imaginäre Linie manifestiert. Imaginäre Linien können aber auch zugleich richtungsweisende Linien oder Formen fortführen, solche Richtungsweiser könnten z.B. Pfeile oder Dreiecke sein. In diesem Fall zeigt die Form und Perspektive des stark geometrischen Gebäudes in Verlängerung horizontalen Bänder auf den Kopf des Fotografen auf der linken Seite.
Flächen: Flächen können beliebig klein sein, die kleinste Fläche ist der Punkt, die größte bei der Bildgestaltung die gesamte Bildfläche. Auch bei einer Beschreibung der Flächen ist zwischen wirklichen und imaginären Zeichen zu unterscheiden. Wirkliche Flächen werden meist durch Hell-Dunkel-Töne gebildet. In dieser Fotografie wird der Bildhintergrund durch diese Hell-Dunkel Flächen stark strukturiert und verstärkt den vorherrschenden Raumeindruck. Imaginäre Flächen können durch ihre Umrisslinien oder auch nur durch imaginäre Umrisslinien aufgebaut werden. In diesem Fall spannt sich, begrenzt von dem rechten Unterarm und Körper sowie der Frau auf der Parkbank ein imaginäre Fläche in Form eines dynamischen Dreiecks auf.
Interessant ist, daß das Auge eine Fläche tendenziell in der abfallenden Diagonale von links nach rechts abtastet. Der Einstiegsort für ein strukturiertes Foto sollte demnach links oben liegen. Gleichzeitig sollte man wissen, daß ein heller Ton das umhergleiten des Auges erleichtert, ein dunkler Ton dieses erschwert. Eine Theorie besagt, daß Fotografien oben links eher etwas heller, unten rechts eher etwas dunkler sein sollen, um das wandernde Auge zu leiten. In diesem Bild sind die bildwichtigsten Details auf dieser imaginär abfallenden Diagonale angeordnet, was den Bildeindruck nochmals verstärkt. Die perspektivischen zum linken Rand gefluchteten Linien verstärken zudem den Kontrast der Größenverhältnisse der bildbestimmenden Figuren. Der Fotograf wirkt durch diese fluchtenden Linien gegenüber der Frau unnatürlich groß, das Sujet wird zum wortwörtlichen Modell.