Während der „andere Blick“ noch eine Kritik an der modernen Architekturfotographie darstellt, und der „intensive Blick“ erste Lösungsansätze für eine neue Architekturfotographie bietet, wird sich diese Aufgabe nicht mehr den theoretischen Problemen widmen, sondern eher dem realen Aufgaben- und Problemfeldern außerhalb der Fotographie als selbstbedingenden Kunst.
Der Kunsthistoriker Manfred Sack hat in einem Aufsatz die Frage gestellt, was mit der Architekturfotographie in Bezug auf Fotografen und Fotographien gemeint ist. „Was möchten wir, dass der Fotograph uns über die Architektur bestimmter Gebäude in einem bestimmten Kontext, einer vorhandenen Umgebung auf seinen Bildern mitteilt?“ Folgend erläutert Sack die Frage anhand der Messbildfotographie, als präzise, möglichst wirklichkeitsgetreue Wiedergabe – „… das perfekt ausgeleuchtete, messbare Abbild, nicht seine Interpretation durch einen künstlerisch besessenen Fotographen.“ Er will jedoch nicht die Messbildfotographie analysieren, es geht um den persönlichen Blick, um Vorlieben, Licht- und Körperreize, um überraschende, Gebäuden an den ungewöhnlichsten Partien abgelockte Bilder. Ein Sonderfall also, der mit dem Alltag der Architekturfotographie wenig zu schaffen hat Also stellt er sich die Frage wofür eigentlich Architektur fotografiert wird. Im Alltag. So Sack, begegnet man jedoch hauptsächlich drei Arten von Fotografen und Fotographien.
„Da sind die einen, die der Architekt beauftragt, sein Werk als das aufzunehmen, was es nach seiner Fertigstellung aber noch vor seinem Gebrauch ist: als ein Bau-Werk in seinem jungfräulichen Zustand. Und so erscheint es dann auch auf den Bildern: klinisch rein, eine aus Räumen gebildete, begehbare Skulptur, deren Qualität nicht an ihrer Funktionstüchtigkeit gemessen, sondern an der Schönheit der Erscheinung innen wie außen.“ Diese Aufnahmen, nach Sack, sind insofern Dokumente, als das Gebäude kurz darauf in sein anderes, eigentliches Dasein eintritt und hinter dem Leben, das von ihm Besitz ergreift, zurücktritt.
„Die zweiten sind die Reporter mit der Kamera, die genau dies viel mehr interessiert als das Bauwerk selbst: die Inbesitznahme durch diejenigen, die darin wohnen, arbeiten, schlafen, … die dem Gebäude vor allem mit der Möblierung auf den Leib rücken. Bei Reportern hat Architektur keine gute Chance.“
Nach Sack sind deshalb die dritten am seltensten, die Fotographen, „..die einen Blick für das eine wie das andere haben, weder das eine noch das noch das andere dominieren lassen, sondern zeigen, was die mit Gebautem lebende Allgemeinheit allein Interessiert: die Architektur eines Gebäudes, seinen Gebrauch, seine Platzierung in dieser und keiner andern, jedenfalls keiner beliebigen Umgebung, seine Wirkung auf die Passanten, die es nur von außen erleben und oft genung ertragen müssen, manchmal darüber freuen.“
Nun aber was ist die Botschaft der Fotographie im Spannungsfeld der Architektur. Nicht die Information über Architektur im Kontext ist die Botschaft, sondern ihre Interpretation. Nicht die Architektur spricht zu uns, sondern das Auge des Fotographen. Es sind nicht dokumentarische, sondern künstlerische Bilder.
Abschließend resümiert Sack: „Also: Architektur? Fotographie! Bilder! Jeder könnte sie, wollte er nur und wäre er imstande sie zu finden, ebenfalls sehen. Aber haben wir denn gelernt zu sehen, was wir sehen? … Keiner unserer Sinne reagiert und agiert so oberflächlich wie das Auge. Da wir seinen präzisen Gebrauch so gut wie niemals lernen, schauen wir uns Fotos an – und staunen darüber, was alles man sehen könnte, wenn man zu sehen gelernt hat. So betrachtet, kommt diesen kunstvollen Architekturfotografien obendrein eine pädagogische Bedeutung zu.“