Ein Foto kann nie die Wirklichkeit ersetzen auch nicht in Kombination mit Grundrissen, Schnitten, Axonometrien, Details und blumigen Beschreibungen, und lange nicht jede Architektur eignet sich zum Fotografieren. Nicht nur die Reduktion des Raumes auf ein zweidimensionalen Bild ist das Problem. Auf dem Foto gehen viel mehr Aspekte des Gebäudes verloren: Materialität, Textur, Klima, Gerüche, Lebendigkeit, besondere Ereignisse oder Stimmungen, der Kontext usw. Es war vor allem Tschumi, der uns bewusst gemacht hat, dass eine architektonische Erfahrung viel mehr ist, als die Umschließung durch Wände. Um das zu vermitteln dokumentierte er seine Beiträge für Zeitschriften in Form von Werbung „… um das Verlangen nach etwas hinter der Hochglanz-Illustration zu wecken, haben diese Anzeigen die Aufgabe, das Verlangen nach Architektur zu wecken.“
Woran liegt es, dass die gängige Architekturfotographie das Verlangen nach einer echten architektonischen Erfahrung eher dämpft als anstachelt? Dazu bemerkt Janet Abrams in ihrem Essay über Architekturfotographie, dass die Fotographie zur Domestizierung der Architektur dient. „ Die publizierten Exemplare sind die besten Pferde im Stall, die Rassehunde, im Unterschied zu den Kötern, den Promenadenmischungen, die auf jeder Straße rumlungern (…) Architekturfotographie bereitet dich nur auf die bestmögliche Bedingungen vor, nicht nur auf das neugeborene, unberührte, sondern auch das sauber von seiner Umgebung isolierte Gebäude, das immer sonnenbadende Gebäude, das Gebäude in seinen wärmsten Farben, in die Kamera lächelnd. Du kommst zu einem Gebäude, das du nur in seiner publizierten Repräsentation kennst, und es gibt eine Überraschung, garantiert. Die Täuschung über den Maßstab, den Kontext und die physikalische Beschaffenheit sind plötzlich unwirksam. Gewöhnlich, anstatt zu glühen – ohne den Schimmer des Papiers, der seinen frisch polierten Look verstärkt – ein Gebäude steht einfach da, eingesperrt in einem Ort. Und dieser Ort ist ganz anders als die das Foto umgebende Ränder auf der Seite. Seiner Überschrift beraubt, des warmen Dickichts der Lettern entkleidet, das ihn in eine Argumentation einfügt, sagt das Gebäude dir nichts darüber, wie du über es denken sollst. Konfrontiert mit dem realen Objekt, musst du dir deine eigene Meinung bilden über die Natur der Bestie. “ Das objektive Aufzeichnen geht unbemerkt in das Interpretieren über, das Registrieren in die Verherrlichung, aber die Art des Fotografierens weckt den Eindruck, als ob der objektive Aspekt immer der Ausgangspunkt bliebe. Schöne Beispiele sind für solche Verschiebungen sind die Dämmerungsfotos, die in den letzten Jahren in Mode sind. Der „objektive“ Grund ist, dass es technisch nur so möglich ist, von dem Gebäude sowohl Extérieur als auch als auch das Interieur und deren wechselseitige Beziehung zu zeigen. Tatsächlich aber färbt die Dämmerung die Fotos romantisch ein, und das warme gelbe Kunstlicht im Inneren suggeriert so viel mehr Wärme und Geborgenheit als das kühle blaue Licht außen, dass derartige Fotos beinahe klischeehaft wie Reklame wirken. Walter Benjamin schrieb: „Die Welt ist schön – genau das ist ihre Devise. In ihr entlarvt sich die Haltung einer Fotographie, die jede Konservenbüchse ins All montieren, aber nicht einen der menschlichen Zusammenhänge fassen kann, in denen sie auftritt, und die damit noch in den traumverlorensten Sujets mehr eine Vorläufer von deren Verkäuflichkeit als von deren Erkenntnis ist.“ Weil aber das wahre Gesicht dieses fotographischen Schöpfertums die Reklame oder die Assoziation ist, darum ist ihr rechtmäßiger Gegenpart die Entlarvung oder die Konstruktion. Bei Brecht kompliziert sich die Lage dadurch, dass weniger denn je eine einfache Wiedergabe der Realität etwas über die Realität aussagt.