01. Der diktatorische Blick

Kapitelblatt der 1. Aufgabe Architekturfotografie mit dem Thema "der  diktatorische Blick"„Fotografieren bedeutet nicht, die Welt als Objekt zu nehmen, sondern sie zum Objekt werden zu lassen.“ – Baudrillard
Vilém Flusser zufolge transformiert die Mehrheit der gegenwärtig fotografischen Bilder weder die Wahl noch die Sicht des fotografischen Subjekts, sondern die subtile Entfaltung der technischen Möglichkeiten des Apparates. Letztendlich befiehlt nur noch die Machine, die all ihre Möglichkeiten ausschöpfen möchte – eine Tyrannei des technischen Apparates. Der Mensch wird zusehends zum Operator technoider Systeme, ohne die Möglichkeit in das System regulierend einzugreifen. Das Ausschöpfen aller technische möglichen Virtualitäten der Geräte bedingt durch seine immensen Möglichkeiten der Diversifikation der Virtualitäten führt zu einer „écriture automatique“ der Welt.

„Die Fotografie ist unser Exorzismus. Die primitive Gesellschaft hatte ihre Masken, die bürgerliche Gesellschaft ihre Spiegel, wir haben unsere Bilder.“ – Baudrillard
Dabei ruht der fotografische Blick buchstäblich auf der Oberfläche der Gegenstände und zelebriert deren Erscheinungen für das Auge. Die Intensität des Bildes entspricht dabei dem Ausmaß, in dem es das Reale, die Erfindung einer anderen Szene, ablehnt. Aus einem Objekt ein Bild machen bedeutet, all seine Dimensionen nacheinander zu entfernen. Um den Preis dieser Entinkarnation gewinnt das Bild die Macht zu faszinieren, es wird zum Vermittler der reinen Objekthaftigkeit und zugleich durchlässig für eine subtilere Art der Verführung. Aus diesem Verweilen des Subjekts heraus folgt das Verschwinden. Der philosophische Blick durchdringt nämlich die Oberfläche und erkennt dabei die Bedrohung des Verschwindens der Gegenstände. Die Erscheinungen der Gegenstände spiegeln immer gleichzeitig ihr Verschwinden. Jedes fotografierte Objekt ist demnach nichts mehr als ein Hinweis, der nach dem Verschwinden alles anderen übrig bleibt. Einer Ästhetik der Erscheinung pariert dabei eine Ästhetik des Verschwindens. Dem Exorzismus der Dinge, dem Vertrauen in die Dingwelt, folgt der Kollaps, das Mißtrauen gegenüber dem Bild. Der Schein der Zeichen rettet dennoch die Erscheinungen der Dinge vor dem Verschwinden. Durch das irreale Spiel mit der Technik, durch den Ausschnitt, die Immobilität, das Schweigen und die phänomenologische Reduktion der Bewegung  wird das Foto zum reinsten und zum künstlichsten Bild. Es ist nicht schön, es ist schlechter, und nur als solches gewinnt es Objektkraft in einer Welt, in der gerade das ästhetische Prinzip schwächer wird. Diese Epiphanie triumphiert  dabei über die Phänomenologie und die Phänomenologie bildet zugleich den Rahmen für eine melancholische Kritik der Epiphanie. Der Einfachheit der Dinge ist der Grund für ihre Schönheit.

1 thought on “01. Der diktatorische Blick

  1. Das ist eine wunderbare Beschreibung der modernen Foto-„Kunst“. Kaum ein unbearbeitetes Bild, High-Definition und Pixelwahn und oft mit groteskem Sujet. Ich selber besinne mich mehr und mehr zurück zur silberbasierten Fotografie mit all ihren analogen Fehlern…
    Danke für diese Perspektive!

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